Mai 2018

Weltgeheimnis

Der tiefe Brunnen weiss es wohl,
Einst waren alle tief und stumm,
Und alle wussten drum.

Wie Zauberworte, nachgelallt
Und nicht begriffen in den Grund,
So geht es jetzt von Mund zu Mund.

Der tiefe Brunnen weiss es wohl;
In den gebückt, begriffs ein Mann,
Begriff es und verlor es dann.

Und redet’ irr und sang ein Lied –
Auf dessen dunklen Spiegel bückt
Sich einst ein Kind und wird entrückt.

Und wächst und weiss nichts von sich selbst
Und wird ein Weib, das einer liebt
Und – wunderbar wie Liebe gibt!

Wie Liebe tiefe Kunde gibt! –
Da wird an Dinge, dumpf geahnt,
In ihren Küssen tief gemahnt…

In unsern Worten liegt es drin,
So tritt des Bettlers Fuss den Kies,
Der eines Edelsteins Verlies.

Der tiefe Brunnen weiss es wohl,
Einst aber wussten alle drum,
Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.

Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929)